Zum Artikel „Der Siegeszug des Homo sapiens“ von Curtis W. Marean im „Spektrum der Wissenschaft“, Heft Juni 2016

(Leserbrief)

Im aktuellen Heft habe ich natürlich zuerst den Artikel von Curtis W. Marean „Der Siegeszug
des Homo sapiens“ gelesen. Und wieder standen mir die Haare zu Berge. Es scheint der
Redaktion einfach der Blick für patriarchatsideologisch kontaminierte Texte zu fehlen. Dabei
ist es eigentlich ganz einfach, denn sobald in Bezug auf die Altsteinzeit Begriffe wie Ehe,
Hochzeit, Familie, Krieg, Fernwaffen, Jagdzauber, Gewalt u.ä. fallen, haben wir es damit zu
tun. Die Patriarchatsforschung, die bedauerlicherweise nicht zum Kreis der vom Spektrum
beachteten Wissenschaften gehört, weiß längst, dass es all das bis vor ca. 8000 Jahren nicht
gegeben hat. Insbesondere Sarah Blaffer Hrdy hat das auf brillante Weise nachgewiesen. Aber auch die Genetik, die Sprachwissenschaften oder die Archäologie bestätigen diesen Befund.
Das Klischee, dass der Mann in der Altsteinzeit die Frau an den Haaren hinter sich her zog
und mit Keulen auf andere Menschen losging, ist genauso veraltet, wie die Vorstellung, dass
der Mensch von Natur aus gewalttätig sei und mit Religion gebändigt werden muss. Auch
Frans de Waal betont das immer wieder. Die Angst vor der Steinzeit als menschen- und
kulturfeindliche Ära ist nicht nur unbegründet, sondern behindert den wissenschaftlichen
Fortschritt, ja schlimmer noch, sie behindert eine wünschenswerte Entwicklung weg vom
Patriarchat. Dabei können wir uns dies kaum noch leisten im Angesicht der weltweiten
Misere, die uns die Lebensweise in Patrilinearität eingebrockt hat.
Und da lese ich nun auf Seite 50, wie wieder Sarah Blaffer Hrdys These missbraucht wird,
diesmal um Mareans These zu stützen. Breit lässt sich der Autor darüber aus, wie hyperprosozial der Mensch doch sei, nur um im gleichen Atemzug zu behaupten, dass der
Mensch sich schon immer ums Essen geprügelt hätte. Der Affe im Flugzeug muss dafür
herhalten, und ich muss mich wieder fragen, ob der Autor nur den Klappentext ihres Buches
„Mütter und andere“ gelesen hat.
In seiner Logik hält er treu zu der veralteten These, dass Homo Sapiens Sapiens den
Neanderthaler gewaltsam ausgerottet habe, und ignoriert den letzten Stand der Forschung,
nämlich, dass das Neanderthaler-Genom in dem unsrigen regelrecht aufgegangen ist,
zurückzuführen auf ein demographisches Ungleichgewicht. (Schmidt, Maier, Kretschmer: „Ist
da draußen jemand?“ Archäologie in Deutschland, Heft 3, 2016, S. 32 f) Natürlich hat Marean Recht, dass unsere technologischen Errungenschaften „erbarmungslosen Krieg“ ermöglichen. Das heißt aber nicht, dass der steinzeitliche Moderne Mensch alles
machte, was machbar war, denn sonst gäbe es uns schon lange nicht mehr. Als am sog.
Flaschenhals nur noch wenige Sippen übrig waren, wurde sich nicht um Muschelbänke
gekloppt, sondern andere Sippen waren hochwillkommen, konnte mit ihnen doch der Genpool aufgefrischt werden. Auf gleiche Weise kam es auch zur Vermischung des Neanderthaler-Erbguts mit dem des Homo sapiens sapiens.
Das Patriarchat und der dazugehörige Krieg sowie Umweltzerstörung sind eine Erfindung
nomadischer Viehzüchtergesellschaften in den Steppen und Bergregionen. Da dürfen uns
auch ausgewählte, moderne Jäger und Sammler-Gesellschaften nicht täuschen, denn sie alle
sind durch Kolonisation vom Patriarchat infiziert worden. Sie führen Kriege, auch weil ihre
Welt von der Moderne auf wenige kleine Flecken eingedampft wurde. Die Haszda gehören zu den letzten Völkern, die uns Matrifokalität vorleben und damit nichts vermissen.
Marean ist sich auch nicht zu schade unsere Natur mit der der Vögel zu vergleichen. Vögel
leben in Paaren, wir natürlicherweise aber nicht. Es entsteht bei uns lediglich durch eine
zeitlich begrenzte Paarung ein neuer Mensch, aufgezogen wird er aber in der matrifokalen
Sippe. Der biologische Vater ist damit für den Sozialverband bedeutungslos, und das versucht das Patriarchat durch die Unterdrückung der female choice zu vertuschen. Die Gewalt gegen Frauen, auch der von Marean angeführte Frauenraub, sind nur vor dem Hintergrund einer patriarchalischen Gesellschaft nachvollziehbar.
Marean passt sicher gut in eine Welt, wie sie sich ein Donald Trump vorstellt. Er scheint
Waffen, die Jagd und den Kampf zu lieben, weniger die Frauen und schon gar keine Kinder.
In seiner Altsteinzeit kommen sie nicht vor. Passenderweise zeigt die Illustration einen
einsamen Mann in heldenhafter Eroberer-Pose, bewaffnet und übermächtig groß. Dies alles,
gepaart mit seinem Bedauern der schädlichen Auswirkungen menschlichen Tuns, führt ihn in eine geistige Endlosschleife aus der es kein Entrinnen gibt.

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