Zum Artikel „Frieden stiftende Ahnen“ von Marion Benz im Spektrum der Wissenschaft, Heft März 2016

(Leserbrief)

Ich beziehe mich insbesondere auf folgenden Absatz von Seite 60: „Fast alle untersuchten Personen wuchsen in Basta und der nächsten Umgebung auf. Hans Georg K. Gebel ist davon überzeugt, dass großfamiliäre Strukturen die Kommunen in der Anfangsphase sozial und wirtschaftlich stabilisieren konnten, was sich auch im Schädelkult, in der Verehrung gemeinsamer Ahnen ausdrückte. „Wenn viele Mitglieder der Gemeinschaft miteinander verwandt sind, reduziert das Konfliktpotenziale. Außerdem steht man füreinander eher ein, als um Ressourcen zu konkurrieren“, meint Gebel. Allerdings folgten nicht alle Megasites diesem Muster. In Kfar HaHoresh (…), das vermutlich der Bestattungsplatz eines solchen Großdorfs war, heirateten etliche Frauen wohl Männer von außerhalb der Siedlung. Isolierte Schädelbestattungen fanden sich jedoch auch dort. Es gab folglich Konventionen, die jeder kannte und die das sesshafte Leben in Ballungsräumen regelten.

Die These von den friedenstiftenden Ahnen mag reizvoll sein. Doch schauen wir uns rezente Kulturen an, in den Ahnen verehrt werden, fällt auf, dass Ahnenverehrung kein Garant für Frieden ist. Manche dieser Kulturen sind sogar ausgesprochen kriegerisch. Das friedliche Zusammenleben wurde offensichtlich von einem anderen Faktor bestimmt und von einem katastrophalen Ereignis beendet. Die Wissenschaftler sollten sich lieber fragen, was davor anders war und was dann passiert ist. Es fällt doch nun wirklich ins Auge, dass die friedlichen Kulturen der Jungsteinzeit ein grundsätzlich anderes Sozialgefüge besaßen, als wir es heute gewöhnt sind. DAS ist die gesuchte „Konvention“. Das Ereignis, das sie änderte, war die Patriarchalisierung. In Kfar HaHoresh haben wir es noch mit einer matrilinearen Kultur zu tun. Wo kein Vater ist, ist keine Patrilinearität und folglich auch kein Patriarchat. Die Frauen hatten Liebhaber in anderen Siedlungen, die sie eben nicht heirateten, wie Frau Benz behauptet, denn dann wären ja die Väter der Kinder in den Gräbern gefunden worden. Es handelt sich demnach auch nicht um Familien, sondern um Sippen, ein soziologischer Begriff, der von der Archäologie konsequent ignoriert wird. Die Bewohner der Siedlung Basta scheinen isoliert gelebt zu haben, dennoch können wir auch hier nicht von Familien sprechen. In matrilinearen Sippen halten sich nur über die Mütter blutsverwandte Personen auf, womit das Konfliktpotenzial nicht nur unter Männern, sondern auch unter den Frauen minimiert ist. Besonders in isolierten Sippen kommt es vor, dass Cousins und Cousinen miteinander Kinder bekommen, weil die chemotaktische Inzestschranke ab diesem Verwandtschaftsgrad nicht mehr wirken muss. Der Menschheit hat das offensichtlich nicht geschadet. Auch in Çatal Höyük bestätigte die odontologische Untersuchung das Fehlen einer patrilinearen Sozialstruktur bzw. patriarchaler Kleinfamilien; diesen Hinweis vermisse ich im Artikel von Marion Benz. http://www.livescience.com/14824-communal-human-burials-ancient-settlement.html
Ich möchte auch auf die jüngst vorgestellte Ahninnenwand aus der Pfahlbaukultur am Bodensee hinweisen, die die Stabilität der Matrilinearität der Jungsteinzeit nochmals bestätigt: https://wahrscheinkontrolle.wordpress.com/2016/01/24/die-busenwand-ein-neuer-fall-von-sexismus-in-der-archaeologie/

Die These der „Frieden stiftenden Ahnen“ lenkt von diesen Befunden geschickt ab. Die Quintessenz der Untersuchung der „Megasites der Jungsteinzeit“ ist nicht der Ahnenkult, sondern die Matrilokalität und Matrilinearität, die als „Matrifokalität“ zusammengefasst sind. Das ist im Übrigen das natürliche Sozialgefüge der Menschheit, das seit der Altsteinzeit für das Überleben in Frieden gesorgt hat. Die Anthropologin Sarah Blaffer Hrdy, deren Werk vom SdW bereits empfohlen wurde, hat nichts anderes festgestellt. Ich erinnere an meinen von Ihnen freundlicherweise abgedruckten Leserbrief zum hanebüchenen Artikel „Stark als Paar“ (SdW, April 2015), in dem ich schrieb: ‚Auf S. 448 von „Mütter und andere“ in Fußnote 20 schreibt Blaffer Hrdy (2010) (…): „Ich gehörte übrigens zu denjenigen, die schon frühzeitig davon überzeugt waren, dass Menschenaffen zur Patrilokalität neigten. Ich änderte meine Meinung im Verlauf der Arbeit an ‚Mutter Natur’.“’

Ich würde mich freuen, wenn der Verlag mehr Mut beweisen würde, und seinen Leserinnen und Lesern keine kryptischen Botschaften mehr übermittelte, sondern endlich Klartext spräche.

Anmerkung:
Der Artikel von Marion Benz ist hier online: http://www.spektrum.de/magazin/im-ahnenkult-vereint-die-grossdoerfer-der-steinzeit/1398158

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