Jared Diamonds übles “Vermächtnis”


Children of the Kalahari
Verdrehte Wirklichkeit über Indigene Völker für das Patriarchat zur Ausbeute angerichtet

Pulitzer-Preisträger Jared Diamond beschäftigt sich in seinem neuen Buch “Vermächtnis” mit der Frage, was wir von den Indigenen Völkern lernen können. Seine Hauptthese ist dabei, dass wir an ihnen sehen könnten, wie die Menschheit in der Steinzeit gelebt hat. Die These ist nicht neu und nicht von ihm ersonnen: schon lange dienen Vergleiche mit Naturvölkern den Anthropologen zur Rekonstruktion der Steinzeit. Seit wenigen Jahrzehnten erst wird dies kritisiert. Insbesondere feministische Forscherinnen sehen in den Berichten von Missionaren, die häufig den ersten Kontakt mit Indigenen herstellten, zu Recht eine einseitige Sicht auf die Kultur dieser Völker. Denn Missionare haben nur Männer befragt, in der Annahme, dass nur sie kompetente Auskunft geben können und auch allein dazu berechtigt seien, Auskunft zu erteilen. Die gegebenen Sprachschwierigkeiten in Verbindung mit den Projektionen des westlichen Patriarchats führten zu einer verfälschenden Beschreibung Indigener Völker. Lange galten solche Texte in der Wissenschaft als verlässliche Quellen und waren zudem meist die einzig verfügbaren. Während Missionare unentwegt versuchten, diese Völker als gottlose Wilde hinzustellen, denen das Christentum zu ihrem Wohle gewaltsam eingetrichtert werden müsse, formte die Aufklärung das Bild vom Edlen Wilden, der in Einklang mit seiner Natur bzw. der Natur lebte. Leider stimmte dieses Bild ebenso wenig mit der Wirklichkeit überein und passte weiterhin in das patriarchale Weltbild, in dem der nackte Mann mit dem Speer in der Hand die Krone der Schöpfung sei. Obwohl dieses Bild wissenschaftlich als überholt gilt, spukt es in den Köpfen der Menschen immer noch herum, was zu einer beinahen Heiligsprechung der Naturvölker unter Esoterikern geführt hat.
Seit einiger Zeit rückt die kriegerische Seite der Naturvölker in den Mittelpunkt der Forschung. Und schon schwenkt die Hammelherde wieder ins Gegenteil um. An Indigenen Völkern wird versucht zu beweisen, dass der Mensch schon immer kriegerisch gewesen sei. Auch Jared Diamond schwimmt auf dieser Welle mit und ergänzt dies mit Hinweisen auf Kindstötung und Alten-Morden. Als Lösung des „Problems“ fordert er ein Staatswesen, das die Indigenen befrieden könne. Nachdem Missionare Jahrhunderte lang mehr oder weniger erfolgreich an der Christianisierung der sog. Primitiven gearbeitet haben, soll dieses Werk nun mit der Verstaatlichung seinen erfolgreichen Abschluss finden.

Statistik und Rhetorik als „friedliche Kampfmittel“ des Patriarchats transportieren die Verdrehungen als glaubwürdig: Heilsbringer Diamond hält die westliche Welt für weniger gewalttätig. Er blendet dafür geschickt diejenigen Indigenen Völker aus, die der These nicht dienlich sind. Besser als Kinds- und Altenmorde, deren soziologischen Hintergrund Patriarchen nie verstehen werden, und besser als Stammeskriege mit Pfeil und Bogen wären demnach ABC-Waffen, die Diktatur der Banken und der Wirtschaft, last but not least die Umweltzerstörung.

Survival International kritisiert den Autor bereits heftig und auch die betroffenen Indigenen sind alarmiert. Wie Stephen Corry es schon andeutet, gibt es nicht DIE Indigenen. Bei aller Kritik werden die Indigenen Völker über einen Kamm geschoren. Dabei sind sie mehr oder weniger stark von der westlichen Welt infiziert und leben vor allem nicht sämtlich im Patriarchat. Merkmal des Patriarchats ist zuerst die Patrilinearität, die Patrilokalität nach sich zieht, zu der viele Indigene schon vor der Eroberung durch die Europäer übergegangen waren. Solche Völker führen Kriege und Fehden, deren häufigster Anlass Landnahme, Frauenraub oder Vergewaltigung ist. Die Missachtung der female choice, mit der sich viele indigene Männer bereits von ihrer Natur entfernt haben, führt zu Überbevölkerung, deren Auswirkungen die Menschen hilflos gegenüberstehen. Wo z.B. bei den matrifokalen San-Buschleuten (alter Name: Buschmänner!) der Kalahari die alten Frauen bis an ihr Lebensende hochgeachtet sind und härter als jede junge Frau arbeiten (vgl. Sarah Blaffer Hrdy 2010), werden alte Frauen im Patriarchat überflüssig und als lästig empfunden. Ihrem Verfall kann dann nur noch mit Mord begegnet werden wie z.B. bei den Aché in Paraguay.

Um ein weiteres Faktum sollten wir uns nicht herumdrücken, den Kindermord. Sarah Blaffer Hrdy beschreibt den Kindermord als in der Tierwelt weit verbreitet. Einerseits töten männliche Affen – wenn möglich – den Nachwuchs der Konkurrenz, und andererseits beginnen weibliche Affen manchmal nicht mit dem Stillen ihrer Neugeborenen, was mit knappen Ressourcen erklärt wird. Dass auch die Menschenmütter der Altsteinzeit entsprechend gehandelt haben, ist daher nicht auszuschließen. Darüber ist kein gerechtes Urteil zu fällen. Fakt ist auch, dass Männer bis heute in unserer vermeintlich hochzivilisierten Welt potentielle Kindermörder geblieben sind, als Soldaten, als Psychopathen oder religiös verblendete Ehrenmörder, während auch Frauen manchmal gezwungen sind, Abtreibungen vorzunehmen oder gar ihre Neugeborenen zu töten. Über diese Frauen erlaube ich mit ebenfalls kein Urteil.

Wir können tatsächlich von den Indigenen lernen, aber nicht von gezielt ausgewählten Völkern, sondern nur von ihrem Vergleich untereinander. Was lässt jene Völker in Frieden leben, was macht andere kriegerisch. Es wird sich schnell herausstellen, dass matrifokal lebende Völker grundsätzlich friedlich sind und sich allenfalls verteidigen gegen die patriarchalen Nachbarn bzw. gegen die westliche Invasion. Nur hier können wir erwarten, eine Lebensweise vorzufinden, die der unserer Steinzeit sehr ähnlich ist, wenn auch nicht mehr in Reinkultur. Leider werden solche Völker immer weniger und gerade ihnen sollte unser besonderer Schutz zuteil werden, d.h. wir sollten sie „aktiv“ in Ruhe lassen.

Bleibt die Frage, ob wir das Recht haben, patriarchale, indigene Völker zu missionieren, wenn es um die Aufklärung über das Patriarchat ginge. Missionierung ist aus patriarchatskritischer Sicht vollständig abzulehnen, denn Missbrauch oder nur menschliche Unzulänglichkeiten lassen sich nicht ausschließen. Das Patriarchat lässt sich eben nicht mit patriarchalen Mitteln auslöschen. Wenn wir bei uns selbst anfangen und uns vom Patriarchat bewusst befreien, können wir Vorbild sein und so versuchen, die Welt zu retten. Das wird so lange Zeit in Anspruch nehmen, wie das Patriarchat Bestand hatte. Mit dem Abholzen der Regenwälder, dem Bau von Staudämmen und mit Plastikeimern liefern wir jedenfalls kein Vorbild ab.