2013: Allen Unkenrufen zum Trotz – Archäologie entdeckt, dass der Mensch vom Wasser abhängt


Ohne Wasser verdurstet alles Leben. Um an das erquickende Nass zu kommen, haben Pflanzen und Tiere die unterschiedlichsten Strategien entwickelt. Pflanzen saugen Wasser aus dem Boden und sammeln es als Regen oder Tau auf speziell geformten Blättern. Kleinen Tierarten reicht oft die Flüssigkeit, die sie mit dem Verzehr von Blättern und Früchten aufnehmen. Viele Tierarten trinken zusätzlich aus Süßwasservorkommen.
Wie der Name schon erahnen lässt, würden Säugetiere ohne die Fähigkeit zu trinken, nicht überleben. Sie saugen und trinken, lange bevor sie beginnen, feste Nahrung zu sich zu nehmen, aus den Milchdrüsen ihrer Mutter. Auch erwachsene Säugetiere müssen trinken, und nur wenige Arten kommen mit der Flüssigkeit aus pflanzlicher Nahrung aus oder haben Strategien entwickelt, längere Durststrecken zu überstehen. Nicht so der Mensch, er muss täglich trinken. Folglich entfernten sich die Menschen der Steinzeit, die ihre Wasserversorgung ohne Gefäße, Brunnen oder Wasserleitungen organisieren mussten, nie weit vom Wasser. Aus dem Wasser bezog der Mensch auch einen großen Teil seiner Eiweißversorgung. Fischen und Muschelsammeln ist schon für die Altsteinzeit belegt. Das Bild vom Steinzeitmenschen, der in der staubigen Savanne auf die Jagd geht, und der in der Tundra allein von der Mammutjagd lebt, bekommt damit einen Kratzer, neue Entdeckungen aus diesem Jahr entlarven es als Fälschung.

Ach nach Quelle
Die Ach/Schwäbische Alb nahe ihrer Quelle

Alte und neue Funde (ich berichtete bereits) von technisch ausgereiften Angelhaken und Harpunen aus dem altsteinzeitlichen Zeitabschnitt des Magdalenien geben beredtes Zeugnis davon ab, wie viel geistige Energie auf die Vereinfachung und Optimierung der Nahrungsbeschaffung verwendet wurde. Den Speeren und Speerschleudern und den viel jüngeren Pfeilspitzen wurde aber seit jeher von der Forschung mehr Interesse entgegengebracht. Dies wundert nicht, verstehen sich viele Forscher doch eher als Nachkommen von Hirten denn von Fischern, und sind Speere, Pfeil und Bogen doch mit einer heroischen Ritterromantik verknüpft und taugen als männliche Identifikationsobjekte. Dass mit Speeren auch Fische gejagt werden können, wird nur kaum beachtet. Nur noch aus Felsbildern erschließbar sind Reusen, die aus Bast und biegsamen Zweigen hergestellt wurden. Sie sind lange verrottet und waren doch ein sehr effektives Werkzeug zum Fang von Fischen, Muscheln und Meeresfrüchten. Wie ein internationales Forscherteam gerade herausfand, diente die erste Keramik der Welt (Jomon-Kultur, 15.000 Jahre alt) dem Kochen von Fisch und nicht von Fleisch.

Die Lebensweise am Wasser fand seinen Widerhall in der Heiligung des Wassers, also in Quell-, Fluss-, Teich- und See-Heiligtümern, und in Kultstätten, die nahe am Wasser lagen. Galten Höhlen gemeinhin als Orte eines „Jagdzaubers“, wird mit meiner Entdeckung erkennbar, dass auch sie Wasserheiligtümer waren: Die mit Punktreihen bemalten Steine und Gegenstände aus den Höhlen der Schwäbischen und Fränkischen Alb, Moldaviens sowie Frankreichs und Spaniens, stellen den Laich von Kröten und Fröschen dar (Ausführliches siehe hier). Diese Erkenntnis wirft ein neues Licht auf die Religionsgeschichte der Menschheit. Zwar ist nicht neu, dass sich die Verbindung der Kröte/des Frosches mit der Gebärfähigkeit der Frau in unzähligen Mythen bis in nachchristliche Zeit wiederfindet, warum das so ist, blieb jedoch unerklärt.
Die Urmutter aus der Karsthöhle Hohle Fels oberhalb des Flüsschens Ach/Urdonautal kann als Chimäre gesehen werden, nämlich aus Mensch und Kröte. Gleiches gilt für eine Chimäre aus der Höhle Geißenklösterle, welche hoch über dem gleichen Tal gelegen ist.
Die altsteinzeitlichen Frauenstatuetten aus den Höhlen und Flussheiligtümern wie die Urmutter von Willendorf, die allesamt ohne Füße und perspektivisch verzerrt dargestellt sind, entstanden – so die plausibelste Erklärung – nach dem Vorbild des eigenen Spiegelbildes im Wasser.
Schon länger bekannt sind die mittelsteinzeitlichen Kultstätten von Lepenski Vir an der Donau: Fischköpfige Chimären, positioniert in Vulva-förmigen Altären, belegen die Verehrung einer weiblichen Wassergottheit. Sie wurden jedoch höchstens als Kuriosum wahrgenommen.

Lepenski Vir (2)
Altäre von Lepenski Vir

Lepenski Vir HeadFischgöttin aus Lepenski Vir

In diesem Jahr veröffentlichten britische Archäologen die Entdeckung einer mittelsteinzeitlichen Kultur in der nahen Umgebung von Stonehenge/Amesbury, die 9.500 Jahre alt und damit 5.000 Jahre älter ist als die bisher bekannten Siedlungsspuren. Unweit der berühmten Steinsetzung befindet sich ein Feuchtgebiet, in dem unzählige bearbeitete Feuersteine gefunden wurden. Ich bin gespannt, ob auch eine Statuette gefunden wird.
Es ist jedenfalls sehr wahrscheinlich, dass der Anlage von Stonehenge ein Wasserheiligtum vorausging. Stonehenge entstand in mehreren Bauphasen und war bereits ein ackerbäuerliches Heiligtum. Die Formsprache des innersten Bereiches ist unverkennbar weiblich. Die Verbindung zu einem Wasserkult sollte jetzt näher untersucht werden.

Ebenfalls in diesem Jahr wurde eine ca. 4.000 Jahre alte, kreisrunde Megalithanlage im See Genezareth/Israel entdeckt. Es handelt sich um einen Haufen mit einem Durchmesser von 70m und einer Höhe von 10m aus großen Basaltblöcken, der nur wenige hundert Meter von der alten Mündung des Jordan entfernt errichtet wurde, noch bevor das Gelände durch den Anstieg des Seespiegels überspült wurde. Rätselhaft ist seine Funktion, aber dass es Menschen waren, die von Weinbau und vom Fischfang lebten, ist mehr als wahrscheinlich, ebenso eine kultische Nutzung.
Landwirtschaftliche Nutzung und natürliche Einflüsse führten zu dramatischen Veränderungen der naturräumlichen Bedingungen, die nicht selten zur Aufgabe des Ortes, seines Kultes und seines Heiligtums führten, so auch in Göbekli Tepe („Hügel mit Nabel“, Ostanatolien), einer megalithischen Anlage aus Rundtempeln, die der Trockenheit zum Opfer fiel. Versteppte Gebiete waren schließlich nur noch für Viehhaltung geeignet. Die Lebensweise des Menschen spiegelte sich stets im Kult wieder und beides beeinflusste sich wechselseitig. So brachte die Hirtenkultur des Nahen Ostens in der Bronzezeit die patriarchale Hirtentheologie hervor. Das Wasser spielt im Alten Testament nur noch eine reinigende bzw. zerstörerische Rolle, als Sintflut, oder zur Waschung vor dem eigentlichen Ritual. Tieropfer sind dagegen die heiligsten Handlungen. Erst im Neuen Testament wird die Taufe mit dem Wasser des Jordan zum zentralen Initiationsritus und der Fisch mit der Speisung der Fünftausend zum Symbol der Urchristen. Dennoch scheinen aber bis heute die Hirten gegenüber den Fischern die „besseren Argumente“ zu haben.

Die Entdeckung der Bedeutung des Wassers für die spirituelle Entwicklung des Menschen muss auch die Erforschung der Evolution des Menschen beeinflussen. Schon im letzten Jahrhundert sorgte die sog. Wasseraffen-Hypothese (bzw. Wataffen-Hypothese, von „waten“ oder Wasser-Hypothese)  für Aufsehen. Danach ist der aufrechte Gang des Menschen eine Anpassung an das Leben am flachen Wasser. Tatsächlich sind Primaten tendenziell dazu in der Lage ihre Fortbewegungsart den Erfordernissen anzupassen. So ist bekannt, dass Gorillas und Schimpansen im Wasser aufrecht gehen.
Gorilla-Weibchen geht im Wasser
Gorilla-Weibchen geht im Wasser (Quelle: Wild Gorillas Handy with a Stick. PLoS Biology Vol. 3/11/2005, e385 doi:10.1371/journal.pbio.0030385)

Warum der Mensch aber der einzige Primat ist, dessen Skelett sich ganz auf den aufrechten Gang umgestellt hat, wird bis heute diskutiert, denn die Wasser-Hypothese konnte sich bislang nicht durchsetzen. Nach der sog. Savannenhypothese, die dazu in Widerspruch gesetzt ist, ist der aufrechte Gang eine Anpassung an das Erfordernis, auf Jagdzügen das hochwachsende Gras überblicken zu können und weite Strecken mit hoher Geschwindigkeit überwinden zu können. Auch diese Hypothese gilt als überholt, weil die Argumentation auf zu wenigen Parametern beruht und mit Argumenten der Wasseraffenhypothese leicht entkräftet werden kann. Die Rhetorik der scientific community, die alles als spekulativ und nicht beweisbar abtut, was den Mann als Jäger und der Frau als überlegen infrage stellt, verhindert aber eine dem common sense entsprechende Stellungnahme und fällt faktisch eine Entscheidung zugunsten der Savannenhypothese.

Es ist zu erwarten, dass bald weitere Funde die Bedeutung des Wassers für die Menschheit bekräftigen. Wann sich die scientific community den Gegebenheiten anpasst und das patriarchale Dogma aufgibt, bleibt aber abzuwarten.